Erfahrungsberichte von Übenden der Shakuhachi

Meine Begegnung mit der Shakuhachi

(Dorothea Thomas, Bonn)

Der urtümliche Klang der Shakuhachi erreicht mich tief innen – schon lange. Ich höre Atemmusik.

Eine unendliche Welt von Bambus-Atem-Geräusch-Ton, Bereichen zwischen Atem und Ton, feinsten, stärksten Atem-Klangausdrucks möglichkeiten mit der Shakuhachi regen mich an, zu entdecken, staunend zu ahnen, wie die reiche Atemwelt, mit der ich viele Jahre vertraut bin, zu Ton werden kann.

Atem ist jeden Moment lebendig, in Bewegung, drückt aus, was ist. Die Musik der Shakuhachi ebenso, da sie ja so nah am natürlichen Atem ist. Sie knechtet nicht den lebendigen Atemfluss, um schön zu spielen, sondern sie fliesst mit dem Atem – in musikalischen Figuren verdichtet.
Die Shakuhachi fordert meine ganze Achtsamkeit. Nirgends kann ich einfach unbewusst, träumerisch losspielen, etwa ein Stückchen trällern. Scheinbar einfache Tonfolgen halten ihre Tücken bereit. Sie holt mich zurück etwa mit einem Röcheln, weil ich den Hauch von Nuancen nicht beachtet habe oder ich nicht mehr „da“ bin. Sie kann Unachtsamkeit nicht ausstehen. Kein Wunder, sie ist eine Zen-Flöte. Ein Gedanke oder ein Gefühl kann ihren Ton zittern oder verstummen lassen. Ich kann mir nichts vormachen.

Ich höre und erfahre, dass dieses Instrument so schwer erlernbar ist. Die damit verbundene Vielfalt lohnt meinen Einsatz. Der Lohn sind kleine Fortschritte und Erkenntnisse, die wiederum den Blick in weitere noch nicht verstandene Aufgaben eröffnen wie der Berg, den man erst sieht vom Gipfel des vorher bestiegenen. Nahezu bei jedem Üben mache ich eine kleine Entdeckung. Dieses Instrument hört nicht auf, mich täglich in diese Erfahrungswelt im “einfachen“ Üben hineinzulocken. Frust und Lust geben sich dabei die Hand.

Sie bringt mich dazu, ihr zuzuhören und mich in dem, was ich bin, was sich äußert, für-wahr-zunehmen. Es kann auch wehtun, so genau gezeigt, gespiegelt zu bekommen, was ich nicht gerne sehe. Und dann auch noch täglichen beim Üben damit konfrontiert zu sein und damit umgehen zu müssen – zu dürfen, denn es ist spannend und es bleibt mir nichts anderes als im Hinnehmen des Unstimmigen gelassener zu werden auf der Suche nach der von innen her stimmigen Musik. Ich bin auf vielversprechende Weise auf mich zurückgeworfen.

Es ist geradezu aufregend, mich vom „Halt“ einer von aussen festgelegten Form zu lösen und meine von innen her „richtige“ atmende Musik zu erspüren. Ich weiss, dass ich noch Lichtjahre davon entfernt bin, aber eine kreative Verunsicherung merke ich schon.

Unbekümmertheit wächst langsam über Freude des Gelingens oder Ärger des Nicht Gelingens, denn es kann sich eh jeden Augenblick wieder ändern. Erwartungen, Wollen und Gefühle verlaufen sich ins Nichts, weil die Shakuhachi stets zu Überraschungen fähig ist. Es bleibt einfach und schlicht das Üben, so, wie es gerade ist.

Der Klang oder auch, was in meinem Unterricht geschieht, kann manchmal sein, als wenn eine tiefe alte Quelle angerührt würde. Die Sehnsucht, der Begegnung mit mir in dem Shakuhachiklang im schlichten Üben weiter zu folgen (oder zu ge-horchen), hält mich dran.

Vielleicht ist das, was mir mit dem elementaren und vielseitigen Klang der Shakuhachi und der Auseinandersetzung damit nahegebracht wird, das Wohltuende, Lustvolle, Heilende und Weiterführende: das Verschmelzen dieser zu Herzen gehenden, unglaublichen, berührenden Klangwelt mit dem, was ich ganz ehrlich bin. Mich in den Klang, wie er gerade ist, einlassen lernen, mich durch ein Dickicht spür- und hörbarer Unzulänglichkeiten und sparsamer Glücksmomente durcharbeiten, wo ich mich eins mit dem Klang und der Welt fühle…

In der Shakuhachi suche ich das ernste Spielerische in Form von Musik, auch das Ritual des mich der Musik Hingebens in innerer Sammlung und Aufmerksamkeit. Und ich suche ein Umsetzen meiner reichen Atemerfahrung in die Musik.

Und nicht zuletzt ist es spannend und tut mir gut, einen Lehrer gefunden zu haben, der die überlieferte Tradition weitergeben kann und darüber hinaus eine kreative Weite fördert, der nicht bewertet, von dem ich mich mit meinem Hintergrund wahrgenommen fühle, der kein Gurugockel ist, der das Shakuhachiüben auf das Leben und auf das Wesentliche bezieht.

Froh bin ich, in der Gruppe anderen ShakuhachispieleInnen zu begegnen und die Vielfalt des Ausdrucks zu erleben. Bei aller, manchmal harten Herausforderung in einer viel fortgeschritteneren Gruppe geniesse ich die Freude des Gemeinsamen und dass es noch andere leibhaftig Übende gibt.

Dorothea Thomas, Bonn

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